Brandzeichen

Die nächste technische Revolution

Nicht nur das Handy ist „smart“ geworden. Auch Armbanduhren, Pulsmesser und Brillen sind heute intelligent. Während es sich bei vielen dieser „Wearables“ um Spielereien handelt, eröffnen besonders Datenbrillen der Medizin und der Industrie ganz neue Möglichkeiten. Dort avancieren sie vom Gadget zum Gesundheitshelfer und Produktionsfaktor.

Lea Heuchtkötter

Im Sport haben sie längst Einzug gehalten – die sogenannten Wearables, also direkt am Körper angebrachte Kleinstcomputer oder Sensoren. In Kleidung, Armbändern oder Uhren eingebaut, können diese bereits seit Jahren Vitalparameter wie Blutdruck, Herzfrequenz, Hautwiderstand oder Fitnessdaten wie gelaufene Kilometer und verbrauchte Kalorien registrieren. Mittlerweile gibt es Lauf-Shirts, die diese Daten sammeln und in TrainingsApps aufbereiten.

Ein Ganzkörperanzug des fränkischen Unternehmens Wearable Life Science kann Muskeln durch Stromstöße stimulieren und so zum Muskelaufbau und einem effektiveren Training beitragen. Das indische Unternehmen Ducere Technologies bietet Schuhe an, die dem Träger per Vibration den Weg weisen. Die Treter der Marke Lechal (gesprochen: Lay-ch-al = Hindi für „bring mich hin“) sind die weltweit ersten interaktiven haptischen Schuhe. Statt ständig auf das Smartphone schauen zu müssen, um per GPS über eine App die richtige Richtung angezeigt zu bekommen, erfolgt die Navigation einfach durch Signale, die über Bluetooth von der Smartphone-App an die Schuhe übertragen werden.

Elektrische Sportkleidung, die Zeit spart; Schuhe, die den Blick auf die Navigations-App erübrigen – braucht man das? Laut einer Studie der Denkfabrik Diplomatic Council halten 96 Prozent der 1.100 befragten Verbraucher tragbare Elektronik wie Datenbrillen, Fitness-Tracker oder Smartwatches für unnötige Spielerei. Auf die Konsumentenwelt bezogen sind diese Einschätzungen wahrscheinlich korrekt. Anders sieht das bei der professionellen Nutzung aus. Denn überall auf der Welt tüfteln Wissenschaftler und Techniker an neuen Anwendungen für Wearables, die das Leben erleichtern.

Möglichkeiten für die Medizin

Besonders intensiv ist die Forschung auf dem Gebiet der Medizin. So arbeitet die Ideenschmiede Artefactgroup an einem Sensor zum Aufkleben auf die Haut mit zugehöriger App für Epileptiker, der einen Krampfanfall erkennen und dann einen Notruf absetzen soll. Google entwickelt derzeit eine elektronische Kontaktlinse für Diabetiker, die Blutzucker-Werte messen und den Träger bei Schwankungen warnen kann.  
Sergey Brins  Mitarbeiter liefern sich dabei ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme (IMS) in Duisburg. Hier entwickelt man zusammen mit der niederländischen Firma Noviosense eine Kontaktlinse, die über einen winzigen Biosensor für Glukose dasselbe leistet wie das Google-Pendant.

Das in San Francisco ansässige Start-up Thimble Bioelectronics hat ein Wearable zur Behandlung von chronischen Schmerzen entwickelt: „Cur“ wird wie ein Pflaster auf die schmerzende Stelle aufgeklebt und lindert den Schmerz über elektrische Nervenstimulation. Die Wirkung erfolgt sofort, da das elektrische Signal das Gehirn schneller erreicht als das Schmerzsignal. Kombiniert wird das Produkt mit einer Funktechnologie, die es dem Arzt und Patienten erlaubt, die optimale Schmerzbehandlung zu finden.

Der  NASA-Wissenschaftler Shahid Aslam hat zusammen mit der Designerin Karin Edgett ein Armband entwickelt, das UV-Strahlung misst und vor Sonnenbrand warnt. Das Armband lässt sich individuell auf jeden Hauttyp einstellen und wird den ganzen Tag getragen. Die Warnung erfolgt über mehrere LEDs. Leuchten alle LEDs auf, heißt das, dass die optimale Menge UV-Strahlung erreicht ist. Danach sollte der
Träger Sonnencreme auftragen oder die Haut mit Kleidung bedecken.

Quantensprung Google Glass

Besonders eine Erfindung hat den Markt getriggert: „Google Glass“. Seitdem der Suchmaschinen-Riese aus Mountain View seinen am Kopf getragenen Minicomputer auf den Markt gebracht hat, sind den Fantasien der Entwickler keine Grenzen mehr gesetzt. Der auf einen Brillenrahmen montierte Computer blendet dem Träger über ein Head-up-Display Informationen in sein Sichtfeld ein. Diese Informationen können kombiniert werden mit dem aufgenommenen Bild, das eine in Blickrichtung des Trägers integrierte Digitalkamera live liefert.

Wenn der Träger beispielsweise durch München schlendert und sein Blick auf die Frauenkirche fällt, können ihm Baubeginn, Baustil, Höhe etc. der Kirche angezeigt werden. Zwar kam die Brille trotz mehrfacher Ankündigungen bisher nicht in den offiziellen Handel und auch ihr Verkauf über das Internet
wurde im Januar 2015 eingestellt. Doch war dies wohl nur dem Zeitgeist geschuldet: Vor dem Hintergrund der NSA-Affäre schlug die erwartete Euphorie der Datenbrille in Skepsis und offene Ablehnung um. Die Verbraucher fühlten sich in ihrer Privatsphäre verletzt. Schließlich kann Google Glass alles und jeden aufnehmen. Für zusätzlichen Zündstoff sorgten Gesichtserkennungsprogramme, die in Verbindung mit der Brille eingesetzt werden können. Selbst in den so technologieaffinen USA machte schnell das Wort „Glassholes“ die Runde.

Das Projekt des Internetriesen ist aber alles andere als gestoppt. Allerdings richten sich Googles Ambitionen nun stärker auf die Arbeitswelt als auf die Konsumenten. Und die Wettbewerber schlafen nicht. Tatsächlich hat mittlerweile nahezu jeder Technologiekonzern eine eigene Brille im Programm. Zu groß sind die Möglichkeiten, die die Technik eröffnet – besonders in der Medizin und der Industrie.

Schöne neue Arbeitswelt

So lassen sich mit einer Datenbrille operative Eingriffe leichter für Lehrzwecke  oder Kongresse aufnehmen. Größe und Gewicht sind so gering, dass sie sich auch zur Aufnahme von längeren OPs eignen. Zudem erfolgen die Aufnahmen aus dem Blickwinkel des Operateurs, der dennoch beide Hände frei hat. Denkbar ist, dass ein Herzspezialist in Buenos Aires dank der Live-Bilder einen Eingriff in London mit seinem Fachwissen unterstützen kann. Auch die Erhebung von Befunden und die Archivierung ließen sich durch die Nutzung von Datenbrillen vereinfachen. Steht nach Monaten oder Jahren ein weiterer Eingriff an, der vielleicht sogar von anderen Kollegen ausgeführt wird, lässt sich die ursprüngliche OP ohne Aufwand nachvollziehen.

Aber nicht nur Chirurgen haben Interesse an der Datenbrille. Andere Disziplinen profitieren ebenfalls. So eröffnet sie Orthopäden ganz neue Möglichkeiten zur korrekten Anpassung von Prothesen. Normalerweise müssen Arzt und Techniker dafür 20 bis 30 Punkte festlegen und Patienten mit teuren Gerätschaften und mit hohem Zeitaufwand vermessen. Eine Datenbrille könnte die entsprechenden Regionen einfach in 20-sekündigen Clips aufnehmen. Über spezielle Algorithmen ginge es weiter an 3D-Drucker, die die Prothesen herstellen.

Intelligente Datenbrillen können normalerweise unsichtbare physikalische Vorgänge sichtbar machen. Sie können aus zweidimensionalen Architekturplänen die entsprechenden dreidimensionalen Gebäude erwachsen lassen und vieles mehr. „Vor allem aber können sie jede Art von Tätigkeit vereinfachen, bei
der es von Vorteil ist, Informationen direkt vor Augen und zugleich beide Hände für die eigentliche Arbeit frei zu haben“, erklärt Professor Wolfgang Prinz.

Der stellvertretende Leiter des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik (FIT) entwickelt Lösungen für unterschiedliche Gerätetypen und begleitet zahlreiche Projekte, in denen der Nutzen von Datenbrillen erprobt wird. Zum Beispiel im Laborumfeld: Die Bayer Health Care AG testet derzeit das Arbeiten im Labor mit den Smart Glasses von Vuzix. „Die Datenbrillen zeigen den Labormitarbeitern Hinweise zur Versuchsdurchführung oder Analyseergebnisse an und erleichtern so deren Arbeit“, sagt Prinz.

Revolutionierte Prozesse in der Industrie

Auch im industriellen Bereich gibt es vielversprechende Anwendungsmöglichkeiten: So erprobt Volkswagen derzeit eine Datenbrille in seinem Teilelager in Wolfsburg. Die „intelligente Brille“ könnte schon bald die Handscanner ersetzen, mit denen die Mitarbeiter die Bauteile bisher kommissionieren. Sie übernimmt nicht nur den Scanvorgang, sondern warnt auch, wenn der Mitarbeiter in die falsche Kiste für den Packauftrag greift. Der gesamte Vorgang wird sicherer und schneller.

BMW testet in seinem US-Werk in Spartanburg, ob sich mithilfe einer Datenbrille die Verfahren der Qualitätssicherung verbessern und beschleunigen lassen. In dem Pilotprojekt zeichnen Mitarbeiter per Google Glass Testreihen an Vorserienfahrzeugen auf. Eventuelle Abweichungen können damit – fotografisch oder filmisch – dokumentiert sowie anschließend besser, schneller und eindeutiger analysiert und behoben werden. Ziel ist die Verbesserung der Kommunikation zwischen den Qualitätsprüfern im Analysezentrum der Vorserienproduktion und den Entwicklungsingenieuren.

Auch bei Bosch ist man bestrebt, Datenbrillen zur Vereinfachung der Prozesse zu nutzen. Gemeinsam mit SAP, welches die Software liefert, prüft der Zulieferer den Einsatz von Datenbrillen in seinen Lagern. Die Arbeiter loggen sich über die Brille im System ein und erhalten daraufhin ihren ersten Auftrag – von der Datenbrille, gut lesbar im Display. Dank der Kooperation mit SAP ist es Bosch möglich, die Smart Glasses in das bestehende SAP Extended Warehouse Management zu integrieren.

Großes Potenzial für den Mittelstand

„Neben der Logistik eröffnen die Datenbrillen vor allem im Bereich Wartung und Reparatur ganz neue Möglichkeiten“, erläutert Fraunhofer-Experte Prinz. „Speziell die Fernwartung könnte revolutioniert werden.“ Langfristig kann der Einsatz von Datenbrillen teure internationale Wartungseinsätze überflüssig machen. Benötigt wird lediglich eine Person vor Ort, die das Problem mit der Datenbrille ansieht. Der – womöglich tausende Kilometer entfernt sitzende – Experte sieht dasselbe und kann Anweisungen für die Reparatur geben.

Gerade in diesem Bereich sieht Professor Prinz großes Potenzial für den Mittelstand: „Der Einsatz von Datenbrillen in der Fernwartung birgt erhebliches Einsparpotenzial. Gleichzeitig sind die Kosten für die Hardware mit 800 bis 1.000 Euro für eine Datenbrille gering.“ Zwar befänden sich fast alle Anwendungen noch in der Erprobungsphase. Doch der Experte ist sich sicher:
„Wearables werden in Zukunft weite Verbreitung finden und eine immer größere Rolle spielen. Zusätzlich werden sie immer kleiner werden und ihre Batterieleistung wird zunehmen.“

2024-02-05
WCG GmbH & Co.KG
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