Jeder kennt von Kindesbeinen an den Weihnachtsmann, niemand weiß etwas über ihn. Das ist so gewollt, um das Geheimnis für die Jüngsten zu bewahren.
Abgeleitet wurde die heute populäre Weihnachtsmannfigur vom Nikolaus, der ein tatsächlich historisches Vorbild hat, nämlich den byzantinischen Priester Nikolaus von Myra, der im 4. Jahrhundert wohl arme Kinder heimlich in der Vorweihnachtszeit beschenkte. Der Nikolaus hat sich bekanntermaßen bis heute gehalten, doch im Zuge der Reformation änderten sich die Bräuche. Unter anderem wurde die weihnachtliche Bescherung auf das heutige Weihnachtsdatum verlegt. In diesem Zuge entstanden in verschiedenen Ländern Weihnachtsmannfiguren, die sich im deutschsprachigen Raum erst im 17. bis 19. Jahrhundert in der gegenwärtig bekannten Form etablieren konnten.Viele uns bekannte Weihnachtslieder ("Morgen kommt der Weihnachtsmann") stammen aus dem 19. Jahrhundert.
Diese Vorgeschichte ist für das Verständnis des genialen Marketingschachzugs von Coca-Cola wichtig. Nach Amerika eingewanderte Europäer brachten natürlich ihre Weihnachtsbräuche mit, doch gerade in der Zeit der großen Einwanderungswelle bis zum frühen 20. Jahrhundert "wackelte" die Figur in mythologischer Hinsicht. Immerhin stammten die Einwanderer aus verschiedenen europäischen Ländern. Der Weihnachtsmann hat praktisch bis heute keine "handfeste" Vorgeschichte, doch die Gesellschaft möchte doch wissen, wo er herkommt.
In dieses mythologische Vakuum stieß der Coca-Cola-Konzern im frühen 20. Jahrhundert vor und bediente somit eine Essentielle Frage der Gesellschaft. Zu diesem Zeitpunkt hatte man lediglich den Namen Santa Claus, der sich vom Sinterklaas – niederländischer Einwanderer abgeleitet hatte, übernommen, doch nicht einmal das Aussehen des freundlichen Gabenbringers stand fest. Er konnte ein rundlicher, lustiger Kobold oder Elf sein, oft war er aber der ältere, bärtige Mann, als den wir ihn heute kennen. Eine US-amerikanische Illustration aus dem frühen 19. Jahrhundert stellte ihn mit Krempenhut, riesiger Kniehose und langer Pfeife dar. Im frühen 20. Jahrhundert schwelte in den Staaten das Bedürfnis, ein einheitliches Bild von Santa Claus zu schaffen. Dieses Bedürfnis bediente Coca-Cola.
Als sich die Marketingfachleute von Coca-Cola noch vor 1920 der Weihnachtsgeschichte annahmen, hatten sie die Wahl zwischen verschiedenen Weihnachtsmannfiguren. Den ersten Versuch, Santa Claus in ihre Kampagne zu integrieren, starteten sie ab 1920. Der Weihnachtsmann war in dieser Ausgabe noch ein sehr strenger älterer Herr, der eher wenig Anklang fand. Eine Nachfolgefigur schuf Fred Mizen für die Coca–Cola–Werbung. Dieser Santa Claus trank eine Coke im Kaufhaus, doch er wurde damit immer noch nicht sonderlich beliebt.
Erst ab 1931 gelang es der Marketingabteilung von Coca-Cola, die heute bekannte und sehr beliebte Figur des Santa Claus zu schaffen, die der Cartoonist Haddon Sundblom entworfen hatte. Erst jetzt hatte der amerikanische Weihnachtsmann den freundlichen Gesichtsausdruck samt weißem Bart. Zudem war er nun rot-weiß gekleidet – also in den Coca-Cola-Farben. Sundblom hatte es geschafft, den Santa Claus gleichzeitig realistisch und doch symbolisch darzustellen. Die Farbgebung verhalf ihm zu dem warmen, anheimelnden Image, welches im Grunde purer Zufall war.
Coca-Cola hatte diese Farben schon lange vorher als Markenträger entdeckt. Dieser Zufall verhalf dem Santa Claus aber sehr, da frühere Weihnachtsmänner auch blaue, braune oder goldene Mäntel trugen. Wie gut der Coca-Cola Santa Claus ins Bild passte, welches sich alle Menschen so sehr wünschten, beweist der gigantische Siegeszug dieser Figur. Der Konzern hatte es geschafft ein gesellschaftliches Bedürfnis zu befriedigen, ohne auch nur einen Funken Zweifel an der Geschichte zuzulassen oder den Eindruck zu erwecken, man mache das ganze nur um den Kommerz zu steigern. Coca-Cola hatte hierfür immerhin mehr als ein Jahrzehnt und drei Anläufe gebraucht. Die Geburt einer Marke ist nicht einfach.
Nun fragt man sich immer noch: Wieso ist der Coca-Cola Santa Claus bis heute so erfolgreich? Nun, die Marketingstrategen des Konzerns hatten das oben erwähnte mythologische Vakuum durchaus verstanden. Sie brauchten dennoch viele Jahre, um die Idee griffig und prägnant auf den Punkt zu bringen. Der heute auf seinem von Rentieren gezogenen Schlitten daherkommende Santa Claus wird von jedermann verstanden, erkannt, geliebt - und mit Coca-Cola zusammengebracht. An seinem Image stimmt nun alles und das wiederum schon seit vielen Jahrzehnten. Generationen sind inzwischen damit aufgewachsen und weisen ihre Kinder und Enkel auf diesen lieben Santa Claus hin. Die frühe Kindheitserinnerung brennt sich ein und wird über die Generationen weitergetragen, weshalb wir davon ausgehen, dass sich die Erfolgsgeschichte dieser Werbefigur noch sehr lange fortsetzen dürfte. Ist das nicht genial?
Der Santa Claus von Sundblom entstammte verschiedenen Inspirationen. Den roten Mantel, der die Adaption der Coca-Cola-Farben plausibel machte, gab es vermutlich beim historischen Nikolaus (sein rotes Priestergewand). Auch war diese Kleidung in Weihnachtsgedichten des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts schon erwähnt worden. Der gemütliche Bart gehörte dem Weihnachtsmann Modell Lou Prentiss, einem Freund von Sundblom, den dieser bis in die 1940er Jahre jährlich neu als Weihnachtsmann malte.
Als Prentiss Ende der 1940er Jahre verstarb, malte Sundblom sein eigenes Spiegelbild, wobei er den Gürtel spiegelverkehrt darstellte, was einen Aufruhr von Fans verursachte. Den Namen Santa Claus hatten nach New York eingewanderte Niederländer mitgebracht, die Idee eines Weihnachtsmanns als Markenfigur für Getränke lag damals in der Luft. Kurz nach dem ersten Versuch des Coca-Cola-Konzerns verwendete 1923 die Brauerei White Rock ebenfalls eine Weihnachtsmannfigur als Werbeträger, gab aber die Idee mangels Erfolg wieder auf.
Das beweist wiederum, dass die Coca-Cola Company auch Stehvermögen bewiesen hatte. Sie variierte die Figur in den folgenden Jahrzehnten nur sehr wenig, stellte ihr aber beispielsweise ab 1942 den Kobold "Sprite Boy" als Begleiter zur Seite (der nichts mit dem dazumal noch unbekannten Getränk Sprite zu tun hatte). Die Halbwertszeit vom Sprite Boy zeigt noch einmal, wie systematisch der Konzern bei der Auswahl der Kampagne vorgegangen ist. Der Weihnachtsmann ist bis heute aktuell, da er ein zeitloses Bedürfnis der Menschen bedient. Der Sprite Boy hingegen tat… nichts von alledem.