Vielen Menschen geht es ja nicht erst seit heute so, dass sie ein Gefühl der Überforderung empfinden. Der bekannte niederländische Liedermacher Herman van Veen sang bereits 1979 (!) in seinem erfolgreichen Song "Weg da" über den Zwang zur Geschwindigkeit:
[...] Wir müssen rennen, springen, fliegen, tauchen
Hinfalln und gleich wieder aufstehn
Wir dürfen keine Zeit verlieren
Können hier nicht stehn, wir müssen gehen [...]
Damals war noch nicht die Rede vom Internet, von der Digitalisierung im Allgemeinen oder von Smartphones im Speziellen, die uns von jedem Punkt der Welt aus mit jedem anderen Punkt in Sekunden kommunizieren lassen. Auch die Globalisierung, der weltweite Handel und Warenaustausch und die Flut an Informationen, wie wir sie heute kennen, steckten noch in den Kinderschuhen.
Vier Jahrzehnte nach diesem Lied - das nur ein willkürlich gewähltes Beispiel ist, es gibt dieses Phänomen des Gehetztseins schon länger - sind unsere Probleme mit der Zeit und der Geschwindigkeit nicht geringer geworden und schon gar nicht gelöst. Im Gegenteil, zahlreiche neue sind hinzugekommen.
Die technische Entwicklung, allem voran die rasante Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche, die Globalisierung von Produktion, Handel und Verkehr sind so umgreifend und komplex geworden, dass ein einzelner nicht einmal mehr einen Bruchteil davon kennen und verstehen kann. Es geht hier nicht darum, diese Entwicklungen zu verteufeln, sondern vielmehr um die Frage: Können wir dies alles noch auf ein menschliches Maß reduzieren?
Von seiner Biologie her ist der Mensch ungefähr auf dem Stand wie vor 200.000 Jahren. In dem langen Zeitraum von damals bis heute hat er sich "die Welt untertan" gemacht und dabei Organisationen und Systeme geschaffen, die so komplex sind, dass er sie selbst nicht mehr begreift, und die sich so schnell weiterentwickeln, dass er nicht mehr wirklich folgen kann.
Digitalisierung, Globalisierung und die nahezu unbeschränkte Mobilität, die uns heute zur Verfügung steht, sind an sich nicht nur von Übel. Neue Technologien haben unter anderem gewaltige Fortschritte in der Medizin gebracht, viele früher tödliche Krankheiten sind ausgerottet oder einfach zu heilen, die Lebenserwartung ist deutlich gestiegen.
Es gibt aber auch viele Besorgnis erregende Entwicklungen, die immer mehr an Fahrt gewinnen und uns Entscheidungen abverlangen, für die wir als Menschen vielleicht zu langsam sind. Allerdings nutzen wir das Wort "Entwicklung" weniger und sprechen mehr von "Trends". Und da gegenwärtig alles in großem, im globalen Stil abläuft, sprechen wir von "Megatrends" (siehe auch brandzeichen 2018).
Diese Megatrends betreffen jeden Einzelnen von uns, wir können uns ihnen nicht entziehen. Sie müssen nicht jeden Modetrend mitmachen, sondern können sich entscheiden, ob Sie sich in die "Farben des nächsten Sommers" kleiden möchten oder nicht. Diese Entscheidung hat keine großen Auswirkungen auf Ihr Leben, außer dass Sie vielleicht komisch von der Seite angeschaut werden. Die Megatrends, die auf uns zukommen, in denen wir bereits stecken, sind global und können nur global bewältigt werden. Und sie entwickeln sich dermaßen rasant, dass der einzelne Mensch mit seinen Entscheidungen ziemlich machtlos ist bzw. gar keine Zeit für eine Entscheidung findet.
Die wesentlichen Megatrends, denen wir uns jeden Tag stellen müssen, umfassen alle Lebensbereiche. Es ist kaum oder gar unmöglich, hier die richtigen Entscheidungen zu treffen, da die Geschwindigkeit, mit der sie sich entwickeln, mittlerweile nicht mehr langsam, sondern exponentiell ansteigt. Die wichtigsten seien hier kurz angerissen.
Das traditionelle Bild von Arbeit und Beruf weicht auf. Wer heute als Berufsanfänger seine Karriere startet, kann kaum noch damit rechnen, sein Arbeitsleben in einem einzigen Betrieb zu verbringen. Vielleicht muss er nach einiger Zeit sogar etwas völlig Neues beginnen, weil der gelernte Beruf durch Automation ersetzt wird. Gleichzeitig verdichtet sich die Arbeit und stellt immer höhere Anforderungen an Kompetenzen und Fähigkeiten.
Die Weltbevölkerung wächst und wird immer älter. Gleichzeitig gehen die Geburtenzahlen zurück. Setzt sich diese demografische Entwicklung fort - und es besteht kein Grund zu der Annahme, dass sie sich umkehrt - müssen wenige junge Menschen viele ältere versorgen. Oder das Renteneintrittsalter wird irgendwann bei 75 oder 80 Jahren liegen.
Parallel werden weite, vor allem ländliche, Regionen entvölkert, während die Großstädte und Ballungsräume stetig wachsen. Hinzu kommen globale Wanderungsbewegungen, die durch Kriege, Dürren oder sonstige Katastrophen ausgelöst werden.
Der weltweite Hunger nach Energie und Rohstoffen wird die natürlichen Ressourcen irgendwann aufgebraucht haben. Hier müssen Lösungen gefunden werden, entweder durch massive Einsparungen, mehr Recycling und erneuerbare Energieformen. Dies gilt auch für die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser für eine wieter wachsende Erdbevölkerung.
Dass sich mit der fortschreitenden Erderwärmung auch der Klimawandel verschärft, dürften heute nur noch hartgesottene Ignoranten leugnen. Rund um den Globus verschärfen sich die Erscheinungen und Verschiebungen durch weiterhin steigenden Schadstoffausstoß, vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Das Geoklima ist dermaßen komplex, dass selbst Experten keine sicheren Voraussagen treffen können, wie schnell die Entwicklung ablaufen wird.
Zudem haben wir mittlerweile mit Problemen zu kämpfen, die vor noch nicht allzulanger Zeit nicht abzusehen waren. Ereignisse wie Tschernobyl oder Fukushima waren furchtbare Katastrophen, aber trotz aller Auswirkungen noch relativ lokal beschränkt. Man könnte auf einen Schlag alle Kernkraftwerke weltweit abschalten, dann würde es zu solchen Situationen nicht mehr kommen. Ungelöst bleibt aber die Frage, wie der radioaktive Abfall beseitigt bzw. gelagert werden soll, der noch Jahrhunderte und Jahrtausende weiter strahlt.
Eine ähnliche und erst seit jüngster Zeit ins Bewusstsein gelangende Entwicklung ist die ungeheure Verbreitung von Plastikmüll in den Ozeanen und auch auf den Kontinenten. Mikroplastikteilchen gelangen mehr und mehr in die Nahrungskette und verteilen sich über den Planeten. Auch hier müsste eine schnelle Entscheidung fallen, nicht zuletzt um kommende Generationen zu schützen. Denn immerhin braucht auch eine PET-Flasche etwa 450 Jahre, um vollständig zu zerfallen.
Die größte Geschwindigkeit entwickelt derzeit wohl die Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche. Internet der Dinge, Industrie 4.0, Künstliche Intelligenz - diese Bereiche entwickeln sich so schnell, das dass Individuum nicht mehr mitkommt. Falls Sie für sich die Entscheidung treffen sollten, auf die Errungenschaften der Digitalisierung zu verzichten, hieße das - etwas übertrieben gesagt - "zurück in die Steinzeit". Via Smartphone Sind Sie heute jederzeit überall erreichbar und können jeden erreichen. Bei vielen Menschen, die zum Beispiel soziale Medien intensiv nutzen, ist es fast schon zwanghaft, auf jede Nachricht sofort zu antworten, egal was sie gerade tun. Oder den neuesten Post von Freunden oder Gruppen zu kommentieren, zu "liken" oder "disliken".
Gleichzeitig werden Ihre Daten gesammelt, ausgewertet, Ihr Verhalten im Netz wird analysiert, um Ihnen maßgeschneiderte Werbung aufs Display zu bringen, ohne dass Sie einen Einfluss darauf haben. Jedenfalls nicht als einfacher, laienhafter User.
Die Geschwindigkeit, mit der die genannten Entwicklungen bzw. Megatrends ablaufen, können Sie als Einzelner nicht stoppen. Sie können allerdings für sich selbst einmal innehalten und sich fragen: Wo kann ich etwas für mich ändern und wo nicht? Es ist nicht so, dass Sie keine Entscheidungsfreiheit mehr haben. Nehmen Sie einfach mal den Fuß vom Gas, legen Sie eine Pause ein und entscheiden Sie, was für Sie wichtig ist.