Das Konzept nine to five – also der klassische Acht-Stunden-Tag am festgelegten Arbeitsplatz – schwindet immer mehr. In ihrem Buch „Die heimlichen Revolutionäre“ beschreiben der Jugendforscher Klaus Hurrelmann und der Journalist Erik Albrecht es folgendermaßen: „In vielen Branchen sind die Zeiten vorbei, in denen Arbeitnehmer morgens ins Büro kommen und dort am Schreibtisch den Tag über stur die anfallende Arbeit abarbeiten. Immer weniger Arbeitnehmer verkaufen so gewissermaßen ihre Arbeitskraft an einen Betrieb. Stattdessen handeln moderne Arbeitnehmer quasi wie selbstständige Unternehmer, nur eben innerhalb eines Betriebs, der sie für ihre Leistungen bezahlt.“ Dementsprechend sind Regelungen wie Home-Office bzw. Remote-Working, flexible Arbeitszeiten, aber auch die Bereitschaft, private Organisations- und Kommunikationsmittel für den Beruf einzusetzen, immer weiter verbreitet.
Viele Unternehmen stehen noch am Anfang eines tiefgreifenden Veränderungsprozesses der Arbeitswelt. Schaut man sich etwa aktuelle Stellenanzeigen an, dann liest man noch oft als Benefit für den potenziellen neuen Mitarbeiter Schlagworte wie „hervorragende Work-Life-Balance“. Das klingt zunächst einmal gut, denn so lange ist es gar nicht her, dass es bei der Gewinnung neuer Arbeitskräfte vorrangig um harte Fakten ging: Qualifikationen, Tätigkeit, Konditionen. Dennoch impliziert der Begriff Work-Life-Balance, dass die Arbeit nicht zum Leben gehöre. Dabei schüttelt kein Mitarbeiter an der Eingangstür des Unternehmens sein privates Leben ab und mutiert für die nächsten acht Stunden zum Arbeitnehmer. Egal, wie man es dreht, Arbeit ist immer ein Teil des Lebens. Arbeitgeber, die von ihren Mitarbeitern erwarten, dass diese sich mit dem Unternehmen und der eigenen Tätigkeit identifizieren, sollten sich dessen ebenso bewusst sein. Sie sollten entsprechende Möglichkeiten schaffen, dass ihre Mitarbeiter gerne zur Arbeit gehen und ihren Job als wichtigen Teil des Lebens, ihren Beruf als Berufung und somit als Teil der eigenen Identität sehen.
Work-Life-Blending vs. Work-Life-Balance
Vor allem in gehobenen Positionen und in den Führungsetagen ist das Arbeitszeitmodell Work-Life-Blending seit Längerem weit verbreitet. Dass hochqualifizierte Mitarbeiter und leitende Angestellte selbst aus dem Urlaub beispielsweise über Skype an Konferenzen teilnehmen oder ständig erreichbar und für den Job im Einsatz sind, ist in gewissen Kreisen fast schon normal. Doch auch in anderen Arbeitsbereichen weitet sich die Vermischung von Privatem und Beruflichem immer mehr aus. Ob dies nun an einer sich ändernden Einstellung der Arbeitnehmer liegt oder schlicht an der Tatsache, dass moderne Kommunikationsmittel die Möglichkeiten hierzu erst geschaffen haben, sei dahingestellt. In jedem Fall kann man sicher davon ausgehen, dass sich Unternehmen in Zukunft nicht mehr vor diesen Veränderungender Arbeitswelt verschließen können.
Welche Auswirkungen aber hat eine Aufhebung der Trennung von Privatleben und Job für die Mitarbeiter? Können Arbeitnehmer überhaupt noch von der Arbeit Abstand nehmen, abschalten und entspannen? Oder führt die ständige Erreichbarkeit zu einer Art Dauerstress und somit letztendlich zur Erschöpfung? Diese Bedenken sind bei Arbeitnehmern präsent, so heißt es in einer von-Rundstedt-Umfrage, dass rund zwei Drittel der Deutschen angaben, man brauche eine klare Trennung zwischen Arbeit und Freizeit. Jedoch befürworten bereits 41 Prozent eine Vermischung von privat und Beruf, wenn sie dadurch ihre Arbeitszeit flexibel einteilen können.
Neue Formen der Arbeitsorganisation
Jährlich vergibt das Business Social Network Xing den New Work Award als Preis für zukunftsweisendes Arbeiten im deutschsprachigen Raum. Hierbei werden Unternehmen, NGOs und Institutionen ausgezeichnet, die „Arbeit neu denken und andere, neue Wege aufzeigen, Arbeitswelten zu gestalten“. 2018 gehörte T-Systems zu den Preisträgern in der Kategorie „Etablierte Unternehmen“. Die Graswurzelbewegung Magenta Lighthouse startete bereits 2016 in Wolfsburg mit dem Ziel, Mitarbeitern mehr Verantwortung zu übertragen und auf Selbstbestimmung und intrinsische Motivation zu setzen. Das funktioniert so gut, dass sich bereits über 4.000 Mitarbeiter dieser neuen Unternehmenskultur angeschlossen haben. Dabei setzt das Unternehmen auf neue Formen der Zusammenarbeit, etwa mit dem am Standort Wolfsburg geschaffenen Collaboration Room, der sowohl von Mitarbeitern als auch von T-Systems-Kunden genutzt werden kann, um neue Arbeitsmethoden auszuprobieren und kreative Zusammenarbeit zu ermöglichen. Darüber hinaus ist die virtuelle „Lighthouse.Einfach.Machen. Community“ innerhalb der eigenen Social-Media-Plattform der Deutschen Telekom mit aktuell etwa 200 Mitgliedern eine der aktivsten und am schnellsten wachsenden im Konzern.
Gerade in Hinsicht auf die fortschreitende Digitalisierung ist das Aufbrechen vorhandener Arbeitsstrukturen und damit die Schaffung von mehr Flexibilität eine Grundvoraussetzung für den künftigen Erfolg von Unternehmen. Für die Mitarbeiter kann sich das allerdings auch zu einer Gratwanderung entwickeln, wenn mehr Flexibilität lediglich mit ständiger Erreichbarkeit und dem Aufheben der Grenze zwischen Privat- und Arbeitsleben gleichgesetzt wird. Ein Acht-Stunden-Tag ohne richtigen anschließenden Feierabend, ohne die Möglichkeit, auch einmal Abstand von der Arbeit zu gewinnen, wirkt sich oftmals negativ auf die Gesundheit aus. Das lassen die gestiegenen Zahlen psychischer Erkrankungen, zu denen auch der Burn-out gehört, erahnen. Ein Umdenken ist also nötig. Arbeit sollte weniger in Stunden, sondern mehr nach Aufgaben und Leistungen bemessen werden. So könnte ein Umfeld geschaffen werden, in dem Arbeitnehmer tatsächlich von mehr Flexibilität profitieren, da sie ihre Ziele in der Arbeitszeit erreichen, die sich am besten in ihre jeweilige Lebenssituation integrieren lässt.
„Stell dir eine Welt vor, in der Menschen mit weniger Arbeit mehr erreichen.“
Ein Unternehmen, das massiv die Flexibilisierung von Arbeitsplätzen vorantreibt, ist Tandemploy. Das Berliner Unternehmen entwickelt Software, die Menschen und Wissen in Organisationen miteinander verbindet. So sollen Silos abgebaut, Expertise und Erfahrung vernetzt und letztendlich „Neue Arbeit“ realisiert werden. Gestartet ist das Unternehmen zunächst mit einer Jobsharing-Plattform, mittlerweile entwickelt und vertreibt Tandemploy aber vor allem Software as a Service (SaaS) sowohl für mittelständische Unternehmen als auch Konzerne, die ihre internen Arbeitsmodelle und Strukturen flexibilisieren und ins digitale Zeitalter bringen wollen. Dabei treffen die Gründerinnen Anna Kaiser und Jana Tepe scheinbar einen Nerv, denn erst kürzlich rieten australische Wissenschaftler etwa, dass Mitarbeiter über 40 Jahre weniger arbeiten sollten. Die Begründung: Sämtliche kognitiven Funktionen leiden ab diesem Alter überproportional, wenn mehr als 25 Stunden pro Woche gearbeitet wird.
Das wiederum berge die Gefahr, auszubrennen. Die Vision der beiden Unternehmerinnen ist seit der Gründung 2013 grundsätzlich die gleiche geblieben. So kann man auf der Unternehmenswebsite lesen: „Wir wollten unseren ganz pragmatischen und konkreten Beitrag dazu leisten, dass unsere Arbeitswelt ein flexiblerer, kooperativerer und lebensfreundlicherer Ort wird, dass Arbeit wieder ins Leben der Menschen passt – und nicht andersherum. Im Ergebnis würde diese Arbeitswelt – so unsere Überzeugung – nicht nur menschlicher sein, sondern als Nebeneffekt sogar produktiver und wirtschaftlich erfolgreicher, als sie es heute ist und jemals war.“ Ganz wichtig ist den Unternehmerinnen, dass sie auch vorleben, was sie ihren Kunden predigen. So arbeitet das mittlerweile 30-köpfige Team von Tandemploy in höchstem Maße flexibel: Aktuell gibt es im Berliner Büro drei Jobsharing-Tandems, vier interdisziplinäre Projektteams, fünf Freelancer und zwölf Mitarbeiter, die im Rahmen einer 4-Tage-Woche arbeiten. Der Erfolg scheint ihnen recht zu geben.