Wenn ein Unternehmen bis zu 70 Prozent seines Umsatzes mit Produkten für die Automobilindustrie macht, muss es sich irgendwann die Frage stellen, ob es den Gang nach China wagt oder das Geschäft im Reich der Mitte langfristig einem chinesischen Anbieter überlässt. Ist die Volksrepublik doch seit Jahren der größte Automarkt der Welt und der wichtigste Einzelmarkt für die deutsche Automobilindustrie: 2015 wurden hier 21,1 Millionen Fahrzeuge verkauft, 7,3 Prozent mehr als im Vorjahr. In 2016 wuchs der chinesische Automarkt sogar um 16 Prozent – so stark wie seit drei Jahren nicht mehr. In verkauften Neuwagen ausgedrückt, waren das 23,9 Millionen (Deutschland: 3,35 Millionen). Nicht von ungefähr betreiben die großen deutschen Automobilhersteller und alle maßgeblichen deutschen OEMs vor Ort eigene Werke.
So ging es auch Bilstein & Siekermann® (BSH). Der Mittelständler aus Hillesheim in der Eifel produziert Kaltfließpress- und Drehteile sowie Verschlussschrauben aus Stahl, Messing und Aluminium für die Automobilindustrie, den Maschinenbau und andere Hightech-Branchen – aber eben vorwiegend für die Automobilindustrie. Geschäftsführer Bruno Hirtz und seine Führungskräfte hatten sich mehrere Jahre lang die Frage gestellt, ob das Unternehmen BMW, Daimler, VW, Bosch, Continental & Co. folgen und eine eigene Produktionsstätte im Land des Lächelns aufbauen solle. „Die Antwort auf diese Frage lag natürlich auf der Hand, denn die Musik spielt in China“, beschreibt Hirtz die Situation. Zwar produzierte BSH bereits seit Jahren auch für den chinesischen Markt, doch der Trend zur Lokalisierung der Teile – sprich: zur Herstellung vor Ort – war unumkehrbar. „Es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ein chinesisches Unternehmen unsere Rolle übernommen hätte“, so Hirtz.
Letzter Anschub kam von außen
„Weil aber bei uns niemand eine Blaupause für die Gründung und den Aufbau einer Gesellschaft in China aus der Schublade ziehen konnte, zögerten wir, den konkreten Schritt auch wirklich zu machen. Das Vorhaben bedurfte eines letzten Anschubs.“ Dieser kam schließlich im Jahr 2015 von außen – und zwar von einem Kunden: BETEK, ein weltweit tätiger Hersteller von Hartmetall-Verschleißwerkzeugen mit Stammsitz im baden-württembergischen Aichhalden, war seinerseits von einem Kunden aufgefordert worden, dessen Bedarf für den asiatischen Markt in China zu produzieren. Also plante BETEK, ein Fertigungswerk im Land aufzubauen. Jedoch gestaltete sich die Suche nach geeigneten Zulieferern im Reich der Mitte schwierig – einen Lieferanten, der Bilstein & Siekermann® hätte vor Ort ersetzen können, fand man gar nicht. „Als BETEK auf uns zukam, fiel uns die Entscheidung nicht mehr schwer. Ein Start mit vorhandenem Auftragsvolumen ist ja ein ganz anderer als ohne“, blickt Hirtz zurück. „Zudem zeigte die Recherche von BETEK, dass in China noch niemand die Substitution von Drehteilen durch Kaltfließpressteile in die Tat umgesetzt hat. Wir hatten und haben also einen technologischen Vorsprung.“
In nur 17 Monaten zum Tochterunternehmen in China
Fortan steckte Bruno Hirtz einen Großteil seiner Kraft und Arbeitszeit in das Projekt. „Wir hatten uns bewusst eine enge Terminschiene gesetzt. Von meiner ersten E-Mail an die Deutsche Außenhandelskammer (AHK) in Shanghai bis zur offiziellen Einweihung unserer Tochterfirma Bilstein & Siekermann Cold Forming Co., Ltd. in Taicang vergingen letztendlich nur 17 Monate“, so Hirtz. Dazwischen lag ein Beglaubigungsmarathon von Handelsregisterauszügen in Deutschland, die Auswahl eines geeigneten Standorts in China, noch mehr Bürokratie auf chinesischer Seite, der Kauf von Maschinen vor Ort, die Rekrutierung von chinesischem Personal und eine ganze Menge kleiner und großer Abenteuer. „Insgesamt hat alles sehr reibungslos funktioniert. Vor allem die Unterstützung durch die AHK war Gold wert“, resümiert Hirtz, der in dieser Zeit an die 20 Mal nach China flog – teilweise nur, um einige wenige Formulare zu unterzeichnen, ohne die der ganze Prozess ins Stocken geraten wäre.
Gemeinsam mit der AHK hatte Bilstein & Siekermann® drei mögliche Standorte in die engere Auswahl gezogen. Die Entscheidung fiel schließlich auf den Sino German Park von Taicang, nördlich von Shanghai. „Hier war gerade ein komplett neuer Industriepark mit 20 Produktionshallen entstanden, die sich noch im Rohbau befanden. Das gab uns die Möglichkeit, auf den Endausbau Einfluss zu nehmen“, berichtet Hirtz. Dennoch mussten auch am Rohbau noch einige Änderungen vorgenommen werden. So war ein komplett neues Fundament erforderlich, da das vorhandene für das Herzstück der Produktion, eine 90 Tonnen schwere 6-Stufen-Kaltumformpresse, nicht ausreichte. Auch der bauseitig vorgesehene Trafo war für die Bedürfnisse von BSH vollkommen unterdimensioniert.
Beschaffung von Maschinen und Personal
Die große Presse bestellte Hirtz wegen der langen Lieferzeit bereits, bevor es die neue Tochtergesellschaft überhaupt gab. „Wir haben es uns zum Grundsatz gemacht, alle am chinesischen Standort erforderlichen Maschinen in Asien – wenn möglich in China – zu kaufen“, erklärt der Geschäftsführer. „Eine Presse, wie wir sie benötigen, wird in China allerdings gar nicht hergestellt. Fündig wurden wir schließlich bei einem Maschinenbauer in Taiwan. Leider kam es dort im Februar 2016 zu einem Erdbeben, was den Liefertermin noch einmal deutlich nach hinten verschob. Der 1,1 Millionen Dollar teure Kaltumformer konnte daher erst im August, also zwei Monate nach der feierlichen Eröffnung des Standorts, den Betrieb aufnehmen.“
Verglichen mit der Anschaffung der Maschinen, lief die Rekrutierung des Personals vor Ort äußerst zügig und reibungslos: Über eine Online-Jobbörse, die Stellen im Großraum Taicang vermittelt, fand Bilstein & Siekermann® Wei Zhu. Der gebürtige Chinese spricht dank seines Studiums in Deutschland fließend Deutsch und zeigte sich auch aufgrund seines sonstigen Werdeganges für die Geschäftsführerposition der chinesischen Tochterfirma bestens geeignet. Vier weitere chinesische Mitarbeiter mit Deutschkenntnissen waren bald gefunden. „Uns war aber klar, dass wir zumindest zur Anlaufunterstützung auch zwei Mitarbeiter aus Hillesheim vor Ort benötigen würden. Bei unserer Tochterfirma handelt es sich zwar um eine chinesische Gesellschaft, sie muss aber wie ein deutsches Unternehmen mit deutschen Standards funktionieren“, so Hirtz. „Da Chinesen einfach anders ticken –beispielsweise, was Eigeninitiative und selbstständiges Arbeiten angeht – waren wir sehr froh, dass wir zwei geeignete Leute aus unserem Mutterhaus für den Wechsel nach China gewinnen konnten.“
Umfassende Prüfung der Umweltauflagen
Als das aufwändigste am gesamten Gründungsprozess entpuppte sich die Umweltprüfung – ein Punkt, den Hirtz und seine Kollegen im Vorfeld gar nicht als so gravierend eingeschätzt hatten, ist China doch nicht gerade für seine hohen Umweltstandards bekannt. Aber genau da liegt der Hund begraben: Das enorme Wirtschaftswachstum hat zu einer großen Belastung und Zerstörung der Umwelt gerade in den ausgedehnten Wirtschaftszentren geführt. Deren Ausmaß ist so groß, dass es nicht nur zu gesundheitlichen Problemen bei der Bevölkerung geführt hat, sondern auch ein Hemmschuh für die weitere wirtschaftliche Entwicklung ist. „Das haben die Behörden erkannt, und dementsprechend streng fällt die Umweltprüfung aus“, beschreibt Hirtz die Situation.
Derzeit werden in der 3.600 Quadratmeter großen Halle von BSH in Taicang Meißelgrundkörper verschiedener Größenordnungen für BETEK gefertigt. „Langfristig möchten wir vom neuen Standort aus den wachstumsstarken chinesischen Markt bedienen und die guten Chancen für das Unternehmen als Ganzes nutzen“, beschreibt Hirtz die Vision. Dafür wird als nächstes eine Vertriebsstruktur für lokale Kunden aufgebaut und die Zertifizierung nach DIN EN ISO 9001 angestrebt. Als Investitionen in den Maschinenpark sind eine sechsstufige Kaltumformpresse bis 18 mm Durchmesser sowie Gewinderollen, eine Teilereinigungsanlage und bei Bedarf auch andere Nachbearbeitungsmaschinen zum weiteren Aus- und Aufbau der Tochtergesellschaft geplant.
Übrigens: Die jüngste Bilstein & Siekermann®-Tochter heißt zwar auf dem Papier Bilstein & Siekermann Cold Forming Co., Ltd. Doch weil in China gesetzlich vorgeschrieben ist, dass die Unternehmen einen chinesischen Namen haben müssen, haben sich die Verantwortlichen gemeinsam mit der AHK intensiv Gedanken hierzu machen müssen. Am Ende fiel die Entscheidung auf „Bisman“. Dabei handelt es sich nicht nur um ein Kunstwort aus Bilstein & Siekermann, sondern auch um den chinesischen Namen von Bismarck – und der genießt im Reich der Mitte immer noch hohes Ansehen.
Deutsche Unternehmen in China
Bilstein & Siekermann® ist mit seinem Engagement in China in guter Gesellschaft: Das Reich der Mitte hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der drei wichtigsten Handelspartner Deutschlands entwickelt. Mehr als 5.200 deutsche Unternehmen haben hier Tochtergesellschaften und Niederlassungen gegründet und beschäftigen in China etwa 1,1 Millionen Mitarbeiter. Die breite Aufstellung und das starke Wachstum der chinesischen Wirtschaft ziehen international tätige deutsche Unternehmen kontinuierlich an, derzeit bewegt sich das Wirtschaftswachstum des riesigen Landes allerdings nicht mehr im zweistelligen Bereich, sondern „nur” noch bei 6,5 Prozent. Viele deutsche Firmen profitieren vom schnellen wirtschaftlichen Aufstieg Chinas und konnten ihre Stellung in den letzten Jahren verbessern. Eine Präsenz auf dem chinesischen Markt gilt deshalb heute als entscheidendes Kriterium für anhaltenden geschäftlichen Erfolg. Besonders die in Deutschland traditionell starken Sektoren des produzierenden Gewerbes wie Autozulieferer und Maschinenbauer sind auch in China bedeutende Investitionsträger.
Die überwiegende Mehrheit der deutschen Unternehmen konzentriert sich in den drei wichtigsten Wirtschaftszentren: dem Einzugsgebiet um Shanghai (Jangtze-Delta) – hier hat auch Bilstein & Siekermann® seine Tochterfirma gegründet – Peking (Bohai Wirtschaftsraum) oder Guangzhou/Shenzhen, dem Perlfluss-Delta. Viele Unternehmen geben weiterhin den traditionellen Wirtschaftszentren in den fortschrittlicheren Küstenregionen den Vorzug und bewegen sich nur zögerlich in die Provinzen im Landesinneren.
Alleine im Sino German Park von Taicang haben sich neben Bilstein & Siekermann® mehrere andere deutsche Firmen angesiedelt, darunter Kern-Liebers, Trumpf und HC Stark, die von hier aus den asiatischen Markt bedienen.
Das rät Bruno Hirtz, Geschäftsführer von Bilstein & Siekermann®
Suchen Sie sich von Anfang an einen kompetenten Partner vor Ort
Wir wurden und werden zum Beispiel hervorragend von der Deutschen Außenhandelskammer in Shanghai unterstützt.
Befolgen Sie alle Ratschläge des Partners
Das gilt im Großen wie im Kleinen, also etwa von der Auswahl des Standorts bis hin zu dem wichtigen Hinweis, dass Anträge und Formulare nur dann von den chinesischen Behörden angenommen werden, wenn sie mit schwarzem Ballpen unterzeichnet wurden!
Holen Sie sich baldmöglichst chinesische Mitarbeiter an Bord
Chinesen können zu ihren Landsmännern und -frauen viel besser Geschäftskontakte knüpfen als ein Ausländer.
Überzeugen Sie deutsche Mitarbeiter für den Gang nach China
Deutsche Mitarbeiter vor Ort sind genauso wichtig wie chinesische: Wenn ihre chinesische Tochterfirma wie ein deutsches Unternehmen funktionieren und deutsche Standards erfüllen soll, sind Mitarbeiter aus Deutschland unerlässlich.
Quelle: brandzeichen 2017